Timoteus Anggawan Kusno &

Ghost Light

Das sogenannte Ghost Light (Geisterlicht) im Theater markiert einen Zustand des Dazwischen. Es wird nach Proben oder Aufführungen mitten auf der Bühne aufgestellt und zeigt an, dass niemand die Bühne nutzen darf. Es markiert so zugleich auch die Verwandlung der Bühne von einem funktionalen Ort in einen Ort der Fiktion — in dem Moment, wenn das Licht erlöscht und das Spiel auf der Bühne beginnt.

Wie wird Geschichte, wie werden Geschichten geschrieben? Von wem und für wen? Und wer entscheidet darüber, wie sie gelesen werden? Ein Nachdenken über das Schreiben von Geschichte(n) ist immer auch ein Nachdenken über die Macht, die vom Prozess des Schreibens ausgeht. Wenn man diesen Prozess aber öffnet, andere dazu einlädt, ihren Teil zur Geschichte beizutragen, was passiert dann? Es ist diese Öffnung, die Timoteus Anggawan Kusno in seiner künstlerischen Praxis immer wieder auf unterschiedliche Arten erprobt.

Ausgangspunkt von GHOST LIGHT waren daher nicht ein fertiger Text, sondern einzelne Objekte: eine Krähe, die metallene Skizze eines Podests, Lampions, das Ghost Light selbst. Jedes dieser Objekte hat seine eigene Symbolik und steht für einen Zustand des Dazwischen, des Übergangs: vom Leben ins Leben nach dem Tod, von der Position der Unterwerfung in die der Macht, von der Realität in die Fiktion. Diese Objekte sind die initialen Impulsgeber, auf die die beiden Performer im Verlauf eines 40-tägigen Workshops täglich neu mit ihren Körpern, ihrer Mimik und Gestik, ihren Emotionen reagierten, um so immer wieder neue Versatzstücke einer Erzählung zu produzieren. Kusno zeichnete jede ihrer Bewegungen auf, um daraus nach und nach ein eigenes Vokabular aus einzelnen Bewegungen zu jedem Objekt zu extrahieren, die er später im Schnitt zu einem fortlaufenden Ganzen zusammensetzte. Die Tonebene entstand erst ganz zum Schluss. Die Foley Artists (Geräuschemacher im Film), die auf der zweiten Leinwand zu sehen sind — zwei davon sind die Performer selbst —, erzeugten die Geräusche zu den Bewe- gungen erst im Nachhinein, in Reaktion auf das fertig geschnittene Video und in Erinnerung an die Geräusche während des Performens.

Es entsteht eine ständige Irritation zwischen dem, was wir sehen, dem, was wir hören, und dem, was wir zu verstehen und zu erkennen meinen. Es öffnet sich so ein Raum für Imagination, und wir sind aufgefordert, die Leerstellen und Lücken im Text mit eigenen Gedanken zu füllen. Diesen Raum betreten wir schließlich als Betrachter:innen in der Ausstellung. Wir treten zwischen die Leinwände, zwischen Bild- und Tonebene, zwischen die Körper der Performer und Objekte sowie die Geschichte(n), die sie alle erzählen. Und mit jeder neuen Betrachtung beginnt eine neue Erzählung. (Tasja Langenbach)

Performance unter der Regie von Shohifur Ridho'I
Performance: Ari Dwianto & Jamaluddin Latif
Kameraarbeit: Aditya Kresna & Stiven A. Chaniago
Drehbuch und Dramaturgie: Timoteus Anggawan Kusno & Shohifur Ridho'I
Co-Künstlerische Leitung: Teguh Hari
Sound-Design: Hengga Tiyasa

Gefördert durch Padepokan Seni Bagong Kussudiardja, Cemeti Institute for Art and Society, Proyek Kodok Ijo und TAK Studioworks

*Wir können nur einen Ausschnitt dieses Werks im Online-Videoarchiv zeigen. Für die vollständige Version, kontaktieren Sie bitte den Künstler.

Abbildungen: Timoteus Anggawan Kusno, Ghost Light, 2021 © Timoteus Anggawan Kusno

Über den Künstler

Timoteus Anggawan Kusno * 1989 in Yogyakarta, INA, lebt und arbeitet in Yogyakarta, INA. Promoviert an der University of Amsterdam, NED, Studium an der Sanata Dharma University, Yogyakarta, INA, und der Gadjah Mada University, Yogyakarta, INA
Webseiten

Über das Werk

Länge 00:18:55

Hintergründe auf Videonale X

Desktop Selfie
"Unterwegs zu sein gibt mir Abstand" - Timoteus Anggawan Kusno spricht über Motorräder, Tiger und koloniale Zusammenhänge.
ToolboX
"Everything was almost complete darkness and blurry." - Timoteus Anggawan Kusno über die Pandemie als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Vokabulars aus dem menschlichen Muskelgedächtnis.
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