Maija Blåfield &

The Fantastic

Maija Blåfields THE FANTASTIC besteht aus in Seoul aufgenommenen Audio-Interviews mit anonymen nordkoreanischen Flüchtlingen sowie aus Material, das in Nordkorea gefilmt wurde. Inhaltlich konzentriert sich der Film auf die individuellen Erfahrungen, die die interviewten Personen in ihrem Heimatland mit aus dem Ausland hereingeschmuggelten Filmen gemacht haben. Die interviewten Personen reflektieren, was ihnen diese Filme bedeutet haben, wie sie beschafft wurden, welche ›Außenwelten‹ sie konstruierten und was sie in diesen Welten als ›Fantasy‹ und was als ›Realität‹ wahrgenommen haben. Blåfields Bilder zeigen Grenz- und Schwellengebiete Nordkoreas: Horizonte, Wälder, Zäune, Brücken und Straßenszenen. Die Bilder vermitteln einen zurückgezogenen, distanzierten Eindruck; sie fühlen sich geheimnisvoll und verstohlen an. Sie präsentieren einen Blick von außen, einen Blickwinkel, der selten außerhalb Nordkoreas zu finden ist: einen flüchtigen Blick zurück, hinweg über angespannte Grenzen.

Der Audio-Bericht einer interviewten Person wird von Bildmaterial eines Horizonts begleitet. »Ich dachte, dass die Filme plausibel seien. Wenn ich zum Beispiel einen Film über den Weltraum sah, dann dachte ich, dass das möglich sein könnte. Die Dinge haben sich ja ziemlich entwickelt.« Die Beleuchtung der Gebäude, die in der Aufnahme zu sehen sind, beginnt zu flackern. Die Person fährt fort: »Es gab auch einen Film, in dem alle Menschen ins Weltall gebracht wurden und eine neue Welt gründeten.« Plötzlich entzündet sich ein pyramidenförmiges Gebäude im Hintergrund und beginnt, wie eine Rakete gen Himmel zu fliegen. Ein VHS-Effekt, der dem Bild- material hinzugefügt wurde, blinkt wie funkelnde Sterne am Nachthimmel. Die interviewte Person überlegt: »Manchmal glaube ich..., dass ich auch gerne mal ins Weltall reisen würde.«

Laut Darko Suvin ist »cognitive estrangement« (kognitive Verfremdung) die zentrale Leistung von Science Fiction. Sherryl Vint deutet Suvins Theorie als eine, die uns nicht nur erlaube, die erzählte Welt zu erkennen, sondern auch, sie als wundersam zu betrachten; dies wiederum fördere das kreative Verständnis und ein kritisches Nachdenken über die Unterschiede zwischen der Welt des Textes und unserer eigenen. Dafür stehe auch sein Konzept des »Novums«, welches diesen Effekt hervorbringe; dieses Novum sei wiederum ein »Katalysator«, mit dessen Hilfe die Unterschiede zwischen der dargestellten fiktionalen Welt und der gelebten Realität der Rezipient:innen veranschaulicht würden.* Im Kontext des eben beschriebenen Interviews wäre das Novum des Films also fortschrittliches Reisen im Weltall und die Fähigkeit, nachhaltig jenseits der Erde zu leben, eine neue Welt zu finden und auf ihr zu existieren. Im übertragenen Sinne können die geschmuggelten Filme darum selbst als eine Art Novum betrachtet werden, als Objekte, die die Realität verfremden; als Wunsch der interviewten Person, die eine Welt zu verlassen, um in einer anderen zu leben. (Erik Martinson)

*Sherryl Vint, Science Fiction: A Guide for the Perplexed (London and New York: Bloomsbury, 2014) S.38–39

Gefördert durch AVEK, Kone Foundation, VISEK, TAIKE, Finnish Cultural Foundation

Abbildungen: Maija Blåfield, The Fantastic, 2020 © Maja Blåfield

Über die Künstlerin

Maija Blåfield * 1973 in Helsinki, FIN, lebt und arbeitet in Helsinki, FIN. Studium an der Tampere School of Art and Media, FIN, und an der Academy of Fine Arts Helsinki, FIN
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Über das Werk

Länge 00:29:59
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