Shobun Baile &

Trust Study #1

Das frühmittelalterliche ›Hawala‹ Finanzsystem ist eine inoffizielle Methode, mit der Geld in Regionen transferiert werden kann, in denen es kein Bankensystem gibt. So kann es — was wenig überraschend ist — an staatlicher Kontrolle vorbei bewegt und gewaschen werden. TRUST STUDY #1 widmet sich dem dualen Wesen der ›Hawala‹ in Form eines schriftlichen Interviews mit einem anonymen Akteur (›hawaladar‹), dessen Existenz fraglich bleibt.

Die ›Hawala‹ wurde im achten Jahrhundert in Indien entwickelt und ist seit jeher in Gebrauch geblieben. Sie vermeidet Buchhaltung und niedergeschriebene Nachweise, um die Identität der involvierten Akteur:innen zu beschützen. Das deutet bereits an, warum ›Hawala‹ für gewöhnlich mit ›Vertrauen‹ statt mit der wörtlichen Bedeutung ›Transfer‹ übersetzt wird. Die Funktionsweise des Systems, welches in erster Linie in islamischen Ländern verwendet wird, wurde nach 9/11 noch geheimnisvoller. Die USA erklärten es damals zu einem im Untergrund operierenden Schattensystem, mit dessen Hilfe Finanzmittel von Terroristen durch die islamische Welt transferiert würden. ›Hawala‹ bietet jedoch auch ein vertrauensvolles Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung, das sich als überlebenswichtig in kriegserschütterten Gebieten und für krisengebeutelte Staaten erwiesen hat. Bailes Werk untersucht die Ambiguitäten, die mit ›Hawala‹ verbunden sind, ihre Verschlüsselungsmechanismen und auch ihre Nutzer:innen.

Das System, das in TRUST STUDY #1 beschrieben wird, wird durch ein sehr kleines Netzwerk von Reiseunternehmen ermöglicht, von denen manche einen eigentümlichen Code verbaler Kommunikation entwickelt haben, der auf Zahlen und Bildbeschreibungen basiert. Die, die von dem interviewten ›Hawaladar‹ und seinen Kolleg:innen verwendet werden, entstammen einem alten Touristen-Guide für Pakistan, welcher von der Regierung mit dem Ziel herausgegeben wurde, den Tourismus und damit die Finanzeinnahmen zu stärken. Mithilfe einer umfangreichen Beschreibung der Objekte in den Bildern sowie ihrer exakten Anordnung werden Information und Kapital übermittelt. Der Film verweist darauf, dass sowohl die Reisen von Menschen als auch die Reisen von Kapital von denselben Leuten organisiert werden, wobei Kapital in der Regel einen Weg zur Überschreitung von Grenzen findet, der Menschen meist verwehrt bleibt.

TRUST STUDY #1 entfaltet sich visuell als geschriebener Dialog auf einem Hintergrund von Bildern, die in die Textur des Drucks hineinzoomen, um die hinter den Zeichen liegende Struktur zu enthüllen. Die gepunkteten Farbmuster und ihre Gegenüberstellung werden nach und nach zu Details erkennbarer Bilder: eine Person, ein Kamel, Palmen. Diese Versatzstücke suggerieren die Entwicklung eines Transfercodes, dessen Entstehung von den Zuschauer:innen während des Interviews miterlebt wird, während die Abwesenheit von Ton die Verschwiegenheit des Geldtransfers — zentral für die Funktionsweise der ›Hawala‹ — unterstreicht. (Vanina Saracino)

Abbildungen: Shobun Baile, Trust Study #1, 2020 © Shobun Baile

Über den Künstler

Shobun Baile * 1986 in Detroit, USA, lebt und arbeitet in Brooklyn, USA. Studium an der Städelschule, Frankfurt, GER, und der Carnegie Mellon University’s School of Art, Pittsburgh, USA
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Über das Werk

Länge 00:15:02

Hintergründe auf Videonale X

Desktop Selfie
Ein super aufgeräumter Desktop: Shobun Baile erzählt über welche Fotografie er in letzter Zeit viel nachdenken musste und was normalerweise im Hintergrund seines Studios passiert.
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