Will Fredo &
Will Fredos Werk begleitet den kolumbianischen Rechtsanwalt und schwulen Pornodarsteller Leo Galileo, einen Star der Internetplattform Only-Fans, auf seiner letzten Tour, bevor dieser der Pornoindustrie den Rücken kehrt. Die sechste Folge der SHTV-Reihe wurde in Barcelona gedreht und gewährt einen Blick hinter die Kulissen, wo Künstler und Darsteller den sowohl spielerischen wie auch gewalttätigen Hintergrund der schwulen Pornoindustrie diskutieren. Auch beleuchtet die Arbeit den Medikamentenmissbrauch der Darsteller:innen, die Kommodifizierung des Körpers und das Erzeugen von Begehren vor dem Hintergrund der harten Anforderungen eines post-pandemischen Kapitalismus. Auf einer individuell gefertigten BDSM-Schlinge installiert, setzt das Werk Leo Galileos Reflexionen und Beichten in Bezug zu Paul B. Preciado, Deleuze und Guattari, Sascha Lobo sowie Maurizio Lazzarato und hebt die strukturellen Dynamiken von Ausbeutung in kaum regulierten Industrien hervor.
Porno-bezogene Internetsuchanfragen erreichten während der Pandemie einen Höchststand und mit ihnen entwickelt sich auch die Pornoindustrie in schnellem Tempo weiter, um die Nachfrage zu befriedigen, die voraussichtlich weiter ansteigen wird. Leo Galileo glaubt, dass Pornografie in einer nicht allzu fernen Zukunft ein gewöhnlicher Teil unseres täglichen Bilderkonsums werden könnte, sogar bis zu dem Punkt, an dem sie die Öffentlichkeit durchdringt. Trotz der sozialen Veränderungen, die die Verbreitung solcher Bilder ermöglichen, und der wirtschaftlichen Entwicklung des Marktes gibt es, was die ethischen Positionierungen der Industrie anbelangt, keine Fortschritte. Dies entspricht dem Zustand in anderen Industrien, in denen die Schere zwischen technologischem Fortschritt und sozialer Veränderung ebenfalls weit auseinandergeht. Die hochgradig prekäre Arbeit der Darsteller:innen wird unter einem dauerhaften Mangel an Schutz-, Sicherheits- und Gesundheitsmaßnahmen ausgeführt. Um die Fantasien der Kunden zu befriedigen, wird den männlichen Darstellern darüber hinaus abverlangt, körperlich lange durchzuhalten, was häufig den Missbrauch verschreibungspflichtiger Arzneimittel beim Dreh erfordert, die wiederum psycho-physische Schäden verursachen.
Häufig gelangen Pornodarsteller aus finanzieller Not ins Geschäft oder nachdem sie dazu genötigt wurden. Leo Galileo beansprucht für sich, einer
der wenigen Glücklichen zu sein, die den Job aus Leidenschaft gewählt hätten, auch wenn er gerade kurz davor steht, seine Darstellerkarriere zu beenden und sich stattdessen auf seine Arbeit als Menschenrechtsanwalt zu fokussieren. Ohne die kameradschaftlichen Aspekte dieses immer noch ungewöhnlichen Berufs zu unterschlagen, enthüllt Will Fredos visuelle Erkundung die brutale Seite der Kommodifizierung des Körpers in der Pornoindustrie und wie diese die Brutalität des Kapitalismus widerspiegelt, ihn vielleicht sogar versinnbildlicht. Darüber hinaus thematisiert das Werk die Einsamkeit des Individuums in diesem historischen Moment und die Atomisierung, die mit dem aktuellen Wirtschaftssystem einhergeht, sowie den Einfluss, den dieses auf menschliche Beziehungen, Zuneigung und Intimität hat.
(Vanina Saracino)
Abbildungen: Will Fredo, SHTV: El Último Tour Del Mundo, 2022 © Will Fredo
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