YAN Wai Yin &

日 ''''''';''''''' 記 (TUGGING DIARY)

Was wie ein Videotagebuch mit einem selbstverfassten Gedicht und ruhiger Soundkulisse beginnt, entfaltet sich in eine experimentelle Erzählung über Entfremdung, Gewalt und Zensur. 
In 日 ''''''';''''''' 記 (TUGGING DIARY) reflektiert Yan Wai Yin die traumatisierenden Erfahrungen während der Massenproteste gegen den wachsenden Einfluss Chinas in den Jahren 2019 — 2020 in ihrer Heimatstadt Hongkong und hält persönliche und kollektive Erinnerungen fest. Die Rastlosigkeit jener Zeit übersetzt die Künstlerin in eine hektische Abfolge und Überlagerung von Bildern, Tönen, Texten und Gedanken, die gegen Mitte des Videos in Reizüberflutung und Entfremdung kulminieren. Es sind Bilder, Geräusche und Empfindungen, die kein Bestandteil des Meta-Narrativs und der Nachrichtenbilder über die Demokratiebewegung werden: Wie das Blau, mit dem die Polizei das Wasser in den Wasserwerfern färbte, um Demonstrierende nachträglich identifizieren zu können. Oder das Zirpen und die Vogelrufe, die zu Beginn der Pandemie die stillgelegte Stadt übertönten und auf das Sterben von tausenden Tieren durch massiven Einsatz von Tränengas während der Proteste verweisen.

Yan Wai Yin dokumentiert ihre unmittelbare Nachbarschaft über ein Jahr lang und größtenteils mit einer analogen Amateurfoto- und Filmkamera. Somit teilt sie ihren Mitbürger:innen subtil mit, dass diese Aufnahmen nicht zur Verbreitung online gedacht sind, wo sie oft für behördliche Verfolgung gesucht werden. Die Künstlerin lenkt und fixiert den Blick gezielt auf Graffiti mit Protestparolen, auf Plakate für Kundgebungen, auf Kinderzeichnungen mit aufmunternden Botschaften, auf farbige Post-its mit Insider-Codes oder auf Fotos von verwundeten Demonstrierenden. Sie sind allgegenwärtig — auf Wände, Decken, Zäune, Pfosten und Billboards geklebt oder auf die Fahrbahn gemalt. Im Lauf des Videos wird manches überklebt, anderes abgerissen, manches verblasst oder wird übermalt. Die Künstlerin interessiert diese urbane Poesie und abstrakte Malerei nicht und auch nicht die Vergänglichkeit der Dinge. In ihrem Video zeigt Yan Wai Yin, wie die Stadt, in der früher im öffentlichen Raum höchstens ein Zettel vor frisch gestrichener Farbe warnte, zu einer Kommunikationsplattform wird und wie sich in den Plakatfetzen und in den auf den Boden geworfenen Kinderzeichnungen Mechanismen der Unterdrückung und Manipulation manifestieren. Dabei reflektiert sie auch ihre eigene Rolle im Prozess des Übermittelns und des Verdeckens, während sie beispielsweise die verfälschten Ziffern 831 rekonstruiert. Sie stehen für den Vorfall am 31. August in der Metrostation Prince Edward, nach dem sich das Gerücht verbreitete, dass Menschen durch Polizeigewalt zu Tode gekommen seien.

Schließlich wird die unscheinbare Fußgängerbrücke im Stadtteil North Point, die die Künstlerin seit ihrer Kindheit auf ihren Wegen durch die Stadt nutzt, zum Symbol für die Zeitenwende in Hongkong — von einer freiheitsliebenden in eine zunehmend restriktive Stadt. (Ieva Akule)

In Auftrag von Soundpocket

*Wir können nur einen Ausschnitt dieses Werks im Online-Videoarchiv zeigen. Für die vollständige Version, kontaktieren Sie bitte die Künstlerin.

Abbildungen: YAN Wai Yin, 日 ''''''';''''''' 記 (Tugging Diary), 2021 © YAN Wai Yin

Über die Künstlerin

YAN Wai Yin * 1994 in Hongkong, HKG, lebt und arbeitet in Hongkong, HKG.
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Über das Werk

Länge 00:16:00

Hintergründe auf Videonale X

Desktop Selfie
Wai Yin Yan gewährt einen Einblick in ihr Skizzenbuch und erklärt wie die Magie wandelnder Schlösser damit in Verbindung steht.
ToolboX
"I often describe the film as an accident" - Yan Wai Yin über die veränderte Wahrnehmung ihrer Nachbarschaft und wie ihre Arbeit 'tugging diaries' zustande kam.
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